Stuttgarter Kammerorchester
21. März 2025

Stuttgarter Kammerorchester

18.45 Uhr Konzerteinführung im Saal Bodensee
19.30 Uhr Großer Saal

Das gesamte Jahresprogramm 2024/2025 können Sie hier digital ansehen.

Fazıl Say (*1970)
Chamber Symphony op. 62 (2015)
1. Introduction
2. Nocturne
3. Finale

Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Konzert für Violine und Orchester Nr. 5 in A-Dur, KV 219
Allegro aperto
Adagio
Rondeau

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847)
Sinfonia X h-Moll für Streicher (1823)
Adagio – Allegro

Béla Bartók (1881 – 1945)
Divertimento für Streichorchester, Sz 113
1. Allegro non troppo
2. Molto adagio
3. Allegro assai

Fazıl Say
Chamber Symphony op. 62 (2015)

 

Beim Bodenseefestival 2015 konnte man den in Ankara geborenen Pianisten und Komponisten Fazıl Say rund um den Bodensee als leidenschaftlichen und durchaus eigenwilligen Vollblutmusiker erleben. Ob in Klaviersonaten von Mozart, die er mit wunderbarer Freiheit ausgestaltet, ob als Solist in Orchesterkonzerten, ob als Klavierpartner in der Kammermusik oder als Komponist: immer begibt sich Say voll und ganz hinein in die Musik, lässt sich von ihr davontragen zu schwingenden und jazzigen Improvisationen (von Mozarts „türkischem Marsch“ gibt es eine Jazz-Variante, bei der einem Hören und Sehen vergeht!) und ist zugleich eng verbunden mit seinen türkischen Wurzeln. Fazıl Say ist auch ein politisch engagierter Künstler, der sich zur Kulturpolitik seines Landes äußert und deswegen bekanntermaßen auch schon des Öfteren in Schwierigkeiten geriet. Indem er, der Atheist ist, Verszeilen des persischen Universalgelehrten und Dichters Omar Khayyam zitierte und via Twitter ironisch kommentierte, geriet er ins Visier der Religionswächter und erhielt 2013 eine Strafe über 10 Monate Haft auf Bewährung. Ausgebildet in seiner Heimat und in Deutschland ist Fazıl Say ein Brückenbauer zwischen Ost und West, der in das klassische Symphonieorchester türkische Instrumente oder die typischen Modi und Intervallschritte einfließen lässt. Zu seiner Kammersymphonie op. 62 schreibt er: „Die Chamber Symphony habe ich 2015 komponiert. Das zwanzigminütige Werk ist gänzlich von türkischer Musik inspiriert und thematisiert meine persönliche Auseinandersetzung mit den komplexen Geschehnissen in der heutigen Türkei. Diese versuche ich durch die rhythmischen und metrischen Eigenschaften der Komposition zu vermitteln. Die Taktart des ersten Satzes ist ein 7/8 “devr-i hindi”-Metrum, eine für traditionelle türkische Musik typische Taktart. Der Mittelteil des ersten Satzes ist deutlich langsamer, enthält Einflüsse der klassischen Palastmusik im hecaz makam-Stil und ruft nostalgische Gefühle ans „alte Istanbul“ wach. Schließlich wird der archaische 7/8-Rhythmus wieder aufgegriffen, mit dem der Satz schließlich endet. Mit dem ruhigen und leisen zweiten Satz wollte ich die Notwendigkeit von Romantik auch in unserer heutigen Zeit hervorheben. Der letzte Satz besteht aus einem sehr schnellen Tanz. Heute gibt es Istanbuls altes Roma-Viertel Sulukule nicht mehr; es beherbergte aber Orte des Tanzes und der Unterhaltung. Der letzte Satz der Chamber Symphony spiegelt die überschäumende Energie der türkischen Roma-Musik wider und soll im Stil der Musik des Balkans gespielt werden.“ Über dem rhythmischen Puls der Unterstimmen erleben wir das kraftvolle Unisono der höheren Streicher, die scharfen Akzente und Schleifer der orientalischen Musik. Im Lyrischen hat die Musik sinnliche Expressivität in atmenden und sprechenden Motiven, Glissandofiguren und andere Spieltechniken spiegeln die abwechslungsreichen Charaktere der Musik.

Wolfgang Amadeus Mozart
Konzert für Violine und Orchester Nr. 5 in A-Dur, KV 219

Wolfgang Amadeus Mozart hat sich nicht nur zahlreiche Klavierkonzerte der Wiener Jahre für seine eigenen Auftritte in die Hand komponiert, sondern einige Jahre früher bereits seine fünf Violinkonzerte. Sein Vater Leopold hatte ja eine berühmt gewordene Violinschule geschrieben und seinen auch auf der Violine hochbegabten Sohn selbst unterrichtet. Zur Zeit der Komposition im Jahre 1775 war der 19-jährige als Konzertmeister der fürsterzbischöflichen Hofkapelle in seiner Heimatstadt Salzburg angestellt, die fünf Konzerte geben einen Eindruck von Mozarts beachtlichen Fähigkeiten auf diesem Instrument wieder. Die Tonarten kommen der Geige sehr entgegen, und auch allgemein sind die Konzerte sehr „geigerisch“ in ihren Figurationen und Spielarten gehalten. Nicht so sehr das Virtuose stellte er darin heraus als vielmehr die Kunst der Gestaltung, wobei sich das Soloinstrument dem Orchester gegenüber als unabhängig und eigenständig vorstellt. Von besonderer Schönheit sind die langsamen Mittelsätze der jeweils dreisätzigen Violinkonzerte, die binnen weniger Wochen entstanden sind. Im A-Dur-Konzert KV 219 überrascht Mozart, indem er den Solisten mit einem kurzen Adagio-Abschnitt beginnen lässt, bevor er sich der „regulären“ Soloexposition zuwendet und das in Dreiklangsnoten aufsteigende Thema präsentiert. Spielerisch und scherzend wirkt das zweite Thema. Wieder ist das Adagio ausgesprochen liedhaft und gesanglich, ausgeschmückt mit empfindsamen „Seufzerfiguren“ angelegt. Höchst originell und launig ist der dritte Satz, der wie ein althergebrachtes, leicht zopfiges Menuett beginnt, schon bald aber mit fremden Tönen auf anderes hinweist. Denn im Mittelteil, einer Art „Trio“ dieses Menuetts, klingt jene „alla turca“-Musik, die Mozart auch später in seinem „Türkischen Marsch“ oder in der „Entführung aus dem Serail“ einfließen lässt: ruppige Kontraste, chromatische Gänge und vor allem die Imitation der mit der Rute geschlagenen großen Trommel, wenn die Bässe „col legno“, also mit dem Holz des Bogens auf die Saiten schlagen, bringen exotisches Kolorit. So überspannt das Konzertprogramm des Stuttgarter Kammerorchesters mühelos 240 Jahre Musikgeschichte.

Felix Mendelssohn Bartholdy
Sinfonia X h-Moll für Streicher (1823)

„Mendelssohn ist der erste Musiker der Gegenwart, der Mozart des neunzehnten Jahrhunderts“, schrieb Robert Schumann bewundernd über den ein Jahr älteren Komponisten, den er in Leipzig kennen gelernt hatte. Und wirklich muss Felix Mendelssohn Bartholdy, der aus einer angesehenen Berliner Bankiersfamilie stammte (sein Großvater war der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn), ein „Liebling der Götter“ gewesen sein. Hochbegabt, bestens ausgebildet in der Musik ebenso wie in der Literatur und der Malerei, gab er im Alter von neun Jahren sein erstes Konzert und spielte im Alter von 12 Jahren vor Goethe. Die Ouvertüre zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ und das Oktett für Streicher machten ihn 1827, mit 18 Jahren, auch als Komponist bekannt. Ausgedehnte Reisen nach Italien, England, Frankreich und in die Schweiz dienten seiner weiteren Ausbildung, viele Eindrücke sind auch in seine Kompositionen eingeflossen. In Deutschland und England wurde er mit der „Hebriden-Ouvertüre“, der „Italienischen“ und der „Schottischen“ Symphonie zu einem der am höchsten geschätzten Komponisten seiner Zeit. 1833 wurde er Musikdirektor in Düsseldorf, zwei Jahre später folgte die Berufung nach Leipzig als Leiter der Gewandhauskonzerte. 1843 wurde hier auf sein Betreiben hin das Konservatorium gegründet. Seine Tätigkeit als Dirigent, Komponist und Lehrer führte ihn oft an die Grenzen seiner Kraft. Felix Mendelssohn, der als Kind gemeinsam mit seinen drei Geschwistern getauft worden war (seither kam der zweite Familienname Bartholdy dazu), hatte auch eine enge Beziehung zur geistlichen Musik: Mit 20 Jahren setzte er sich für die Wiederaufführung der „Matthäuspassion“ von J. S. Bach ein, selbst vertonte er zahlreiche Psalmtexte und komponierte zwei häufig aufgeführte Oratorien „Paulus“ (1836) und „Elias“ (1846). Wenige Monate nach dem Tod seiner geliebten, ebenfalls hochmusikalischen Schwester Fanny starb Felix Mendelssohn im Alter von nur 38 Jahren.

Zu Felix Mendelssohns Lehrmeistern gehörte bis zu seinem 17. Lebensjahr Carl Friedrich Zelter, der Freund von Johann Wolfgang von Goethe, der den Jungen mit dem hellwachen Geist an die Werke von Händel, Hasse, Johann Sebastian Bach und vor allem an die von Carl Philipp Emanuel Bach heranführte (zu seiner Zeit war er mit seinem musikalischen „Sturm und Drang“-Stil bekannter als sein Vater!). Aus dieser Zeit stammen zwölf Streichersymphonien, in denen der junge Mendelssohn die Kunst des kontrapunktischen Satzes und des musikalischen Ausdrucks studierte. Die zehnte dieser kurzen Symphonien steht in h-Moll – einer Tonart, die ja eng mit den Werken J.S. Bachs verbunden ist: Einer dunklen, dicht gefügten langsamen Einleitung folgt ein heller gestimmtes Allegro, in dem manche die feingliedrige Beweglichkeit der Musik zu Shakespeares Sommernachtstraum heraushören. Kurze Zeit nach der Vollendung der Streichersymphonien erhielt der junge Künstler an seinem 15. Geburtstag gleichsam seinen Ritterschlag durch Zelter: „Mein lieber Sohn, von heut ab bist du kein Junge mehr, von heute an bist du Gesell. Ich mache dich zum Gesellen im Namen Mozarts, im Namen Haydns und im Namen des alten Bach. Nun arbeite auf den Meister los.“ Felix, der Glückliche, ließ sich inspirieren und überflügelte seinen Lehrer um Längen.

Béla Bartók
Divertimento für Streichorchester, Sz 113

Im zarten Alter von fünf Jahren erhielt Béla Bartók den ersten Klavierunterricht von seiner Mutter, auch Kompositionen entstanden bereits früh. Von 1899 bis 1904 studierte er an der Budapester Musikakademie Komposition und Klavier, dabei führte er als Konzertpianist oft eigene Werke auf. Später unterrichtete er selbst an dieser Hochschule. In großer Verbundenheit zu seiner ungarischen Heimat begann er, die echten Volkslieder der Bauern zu sammeln und aufzuzeichnen und dehnte seine Reisen auch in andere südosteuropäische Länder aus. Volksliedmelodien und Rhythmen sind in viele seiner Werke eingeflossen und verbinden sich mit den neuen Kompositionstechniken seiner Zeit zu einem ganz persönlichen Stil. Bartók hinterließ viele Werke für Klavier und schuf die mehrbändige Klavierschule „Mikrokosmos“, die auch heute noch viele Schüler begleitet. Von großer Bedeutung sind auch seine sechs Streichquartette, das Konzert für Orchester oder die Oper „Herzog Blaubarts Burg“. Im Jahre 1940 zwangen ihn die politischen Umstände in Ungarn zur Auswanderung nach Amerika. Hier entstanden noch das dritte Klavierkonzert und die dem Geiger Yehudi Menuhin gewidmete Sonate für Violine solo, die Bartóks letztes vollendetes Werk ist. Der Komponist starb im amerikanischen Exil in New York an Leukämie. Er ist nicht nur der bedeutendste ungarische Komponist, sondern im Farbenreichtum seiner Werke auch wegweisend für die Musik des 20. Jahrhunderts, obwohl manche seiner Stücke von vielen als sehr aggressiv und schwierig empfunden werden. Wie andere Komponisten und Künstler seiner Zeit kam auch Béla Bartók in den Genuss von Kompositionsaufträgen des in Basel wirkenden Dirigenten und Mäzens Paul Sacher (1906 – 1999). Nach der erfolgreichen Uraufführung der „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ am 21. Januar 1937 unter der Leitung von Paul Sacher entstand außerdem die ungewöhnliche Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug, die Bartók gemeinsam mit seiner Frau Ditta Pasztory am 16. Januar 1938 in Basel zur Uraufführung brachte. Als drittes Werk gab Sacher, der schon zu seinen Studienzeiten das Basler Kammerorchester gegründet hatte, das „Divertimento für Streichorchester“ in Auftrag und lud Bartók in ein von ihm gemietetes Chalet im Berner Oberland ein. Paul Sacher charakterisiert Bartók mit folgenden Worten: „Wer Béla Bartók begegnete, in Gedanken an die rhythmische Urkraft seiner Werke, war von der schmalen zarten Gestalt überrascht. Er hatte die äußere Erscheinung eines feinnervigen Gelehrten. Der von fanatischem Willen und unbarmherziger Strenge besessene und von einem glühenden Herzen getriebene Mensch wirkte unnahbar und war von zurückhaltender Höflichkeit. Sein Wesen atmete Licht und Helligkeit. Seine Augen leuchteten mit herrlichem Feuer. In den Strahlen seines forschenden Blickes hatte nichts Unwahres oder Unklares Bestand. Wenn etwa beim Musizieren eine besonders gewagte und schwierige Stelle gut gelang, lachte er knabenhaft übermütig, und wenn er sich über das glückliche Vollbringen einer Aufgabe freute, strahlte er förmlich. Das bedeutete mehr als unverbindliche Komplimente, die ich aus seinem Munde nie vernommen habe.“ Und Béla Bartók schrieb aus der Schweizer Sommerfrische des Augusts 1939 an seinen Sohn: „Irgendwie fühle ich mich wie ein Musiker vergangener Zeiten, der von seinem Mäzen zu Gast geladen ist“.

Das Divertimento sollte das letzte in Europa komponierte Werk Bartóks werden, innerhalb von nur zwei Wochen, zwischen dem 2. und dem 17. August 1939, brachte der Komponist das intensive Werk zu Papier. Zwei Wochen später brach der zweite Weltkrieg aus. Hans Ulrich Mielsch schreibt in seinem Buch „Die Schweizer Jahre berühmter Komponisten“: „Einiges dieser Bedrohlichkeit scheint trotz der Idyllik der Umgebung in die Atmosphäre des langsamen Satzes eingegangen zu sein und wächst sich dort zu einer alptraumartigen Vision aus. Die taghellen Ecksätze dagegen sprühen vor Freude und Leichtigkeit der Erfindung. Im ersten Satz stehen geschmeidige Eleganz und auftrumpfend Tänzerisches nebeneinander, sehnsüchtige und parodistische Episoden unterbrechen die rhythmischen Energien des dritten Satzes.“ Doch auch im ersten Satz mit seinen bohrenden, pulsierenden Rhythmen, den Anklängen an den Wiener Walzer im Seitenthema und eindringlichen kurzen Unisono-Passagen scheinen wir einem unerbittlichen Tanz am Abgrund beizuwohnen. Dazu gibt es immer wieder einen aparten Wechsel von solistisch eingesetzten Stimmführern und vollem Orchester. Der intensive Klagegesang im langsamen Satz wird auch von den typischen kurz-lang-Akzenten, die der ungarischen Sprache so eigen sind, geprägt. Die lastende Schwere, die über diesem Satz liegt, wird von der treibenden Energie des Finalsatzes und seinen wirbelnden Violinsoli aufgehoben.

Die Uraufführung des Divertimentos fand unter der Leitung von Paul Sacher, doch ohne den Komponisten am 11. Juni 1940 in Basel statt.

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